Rennstreckenfahrer im Lockdown

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Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon Grim Reaper » 03.02.2021, 19:05

Es musste ja so kommen… Ich war gereizt. Ich wollte nur einen verdammten Fleischsalat für mein verdammtes Brötchen. Ich rannte in die Spur der kleinen Einkaufswagen. Nur um dann festzustellen, dass ich keinen verdammten Euro hatte. Der Türsteher schien meine Stimmung zu ahnen. Bevor Schlimmeres passierte, löste er mit seinem Generalschlüssel (ja sowas gibt es!) einen Wagen aus der Kette und gab die Einfahrt in den Markt frei. Na endlich. Ich machte langsam in der Schleuse. Ganz brav, solange er mich sehen konnte. Hinter der Schleuse schaltete ich zwei Gänge runter und gab Vollgas…

Der Lidl ist ein klassischer Rechtskurs. Zunächst eine lange Gerade, die in einer steilen 90° Rechtskurve endet. Alle Rennen starten immer mit fliegender Kupplung. Auf Höhe der Gurken ging ich aus dem Windschatten einer 55jährigen Hausfrau, die unvorsichtig zu einer Aubergine griff. Vor mir tauchte ein Pärchen auf. Die musste ich unbedingt vor dem Weißbrot bekommen. Alles in der ersten Runde.

Beim Lidl knackt man den Rundenrekord immer in der ersten Runde und mit kalten Reifen. Mein Wagen lief gut. Minimale Unruhe beim Spurwechsel, hinten links beginnendes Aufreißen des Gummis: klarer Wartungsfehler der Boxencrew, der Reifen ist auf dem Rechtskurs am meisten belastet und falscher Luftdruck ist tödlich. Aber es sind für alle gleiche Bedingungen. Hier entscheidet der Fahrer, nicht das Material!

Ich hatte das Pärchen auf Höhe des Dinkel-Toastbrotes direkt vor mir. Das Weißbrot lag schon hinter mir, die laktosefreie Milch links kam näher, der absolut letzte Bremspunkt vor der Kurve. Ich zog raus - Point of no Return. Das Manöver musste klappen, sonst würde ich hart im Fischregal einschlagen. Die laktosefreie Milch links im Blick, das Pärchen rechts. Die beiden trugen Schutzkleidung: er hatte Einmal-Gummihandschuhe an, sie trug einen neuwertigen Mundschutz. Der Mundschutz bedeckte den Mund, die Nase war frei. Der Gummihandschuhträger hatte gar keinen Mundschutz - klarer Regelverstoß. Der Anblick ließ mich kurz die Konzentration verlieren, so dass die laktosefreie Milch vorbeiflog und ich einen Hauch zu spät auf der Bremse war. Nicht gut - der Wagen ging auf Block, das Heck stieg und ich hatte kein Gewicht auf den Hinterreifen. Scheiße, das würde eng. Ich bremste hinten an und stellte den Wagen quer. Ich kann mit diesen vierrädrigen Kisten einfach nicht so gut umgehen. Am Einlenkpunkt zog ich langsam das Gas auf, driftete an Frau Müller vorbei und schlug seitlich in der Bande von der Salatkühlbox ein - das stabilisierte die Fuhre immerhin etwas. Ich schoss direkt auf die Aktionsregal-Schikane zu: eine fiese Rechts-Links-Rechts-Kombination, die nicht immer freigegeben ist. Zum Glück war der Aktionskorb leer, so dass die große Streckenführung hintenrum geöffnet war und ich genug Energie vernichten konnte, um die nächste Kurve problemlos zu meistern. Vor dem Anbremsen auf Höhe des Tilsiters nahm ich im Vorbeiflug den Fleischsalat aus dem Regal - ein perfekter Move mit nur minimalem Zeitverlust! Das könnte trotz des Missgeschicks an der Bande eine neue Bestzeit werden…

Ich nahm Anlauf, machte mich ganz klein, sprang in den Einkaufswagen und gab in der offenen Fleischsalatklasse alles, nur mein Kopf lugte aus dem Wagen. Ich sah, dass Kasse 1-3 auf waren. Aber alle voll – verdammt! Welche Linie sollte ich nehmen? Gerade als ich mich für Kasse 2 entschieden hatte, fing Nummer 4 an zu blinken: "Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 4 für Sie". Meine Chance! Ich drängte mich an zwei Jugendlichen mit Jim Beam-Cola vorbei, rammte einen Mann mit Eierlikör und Mehl und machte mich ganz breit. Jetzt nur nicht schwach werden. Tür zu. Ganz innen anbremsen. Da darf keiner mehr rein vor der letzten Rechtskurve in die Einfahrt der Kassengeraden… Erst als die "Welt der Frau" und die „Süddeutsche“ im Zeitungsständer vorbeiflogen, bremste ich und schlug stumpf im Zigarettenständer ein.

Mist.

Der steht nämlich genau zwischen Kasse 3 und 4. Ich hatte es versaut. Die Front vom Wagen war komplett verbogen, lief links Öl raus und das Drecksding sprang nicht mehr an. Der Typ mit dem Eierlikör kam kopfschüttelnd vorbei und selbst die Oma mit Rollator und Klopapier schaffte es vor mir an die Kasse, bevor ich meinen Wagen aus den Zigaretten gezogen hatte. Ich packte aus und verschwand enttäuscht auf den Weiten des Parkplatzes, bevor der Sicherheitsmann Fragen zu dem zerhämmerten Einkaufswagen stellen konnte.

So kann es nicht weiter gehen, das ist klar. Irgendwann wird dabei noch was Schlimmeres passieren, vor allem weil der Parcours zur Rush-Hour noch anspruchsvoller ist und kaum Auslaufzonen bietet. Es wird einem alles abverlangt und ohne regelmäßiges Training landet man zwangsläufig im hinteren Mittelfeld – wenn es gut läuft. Das hat inzwischen auch das Ordnungsamt mitgekriegt: die Rennen dürfen ab sofort nur noch ohne Zuschauer und mit streng begrenzten Teilnehmerzahlen ausgetragen werden. Wer zu spät an der Startlinie steht und keinen Wagen mehr abbekommt, wird disqualifiziert…
Grim Reaper
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Re: Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon Hondareiter » 03.02.2021, 20:06

Schöner Bericht habe es Inge die heute Geburtstag hat vorgelesen,sie hat gelacht. :ddaumen:
Hondareiter
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Re: Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon TW » 03.02.2021, 21:58

Hallo,

Einkaufen ist schon mörderisch - das macht Gott sei dank bei uns meine Frau..!
Ich halte nur daheim den Verbandskasten bereit.

Gruß
TW
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Re: Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon Hondaslider » 04.02.2021, 07:31

klasse " Rennbericht " :ddaumen: ... fast wie eine MGP Reportage ...gerne mehr sowas ... :winke0002:
Hondaslider
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Re: Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon TW » 04.02.2021, 09:41

Hallo,

Lidl betätigt sich ja auch als Sponsor:

bei den Fußballnationalmannschaften von Italien, England, Schottland und Wales (seit 2015)
bei dem Handballverein Füchse Berlin und dem Deutschen Handballbund (DHB), IHF Weltmeisterschaft 2017 und 2019, EHF Europameisterschaft 2016, 2018 und 2020
im Eishockey - in der DEL und dem Deutschen Eishockey-Bund.

Da ist es nur verständlich, dass in den Filialen an der Qualität des Bodenbelages (keine Haftfähigkeit bei höheren Geschwindigkeiten, Spurrillen....), der Standards (keine Auslaufzonen, keine Curbs, kein Safety-Car, kein Flag-Marshal bzw. geschultes Personal...), der Einkaufswägen (Sohlenbremsen anstatt Hydraulik-Scheibenbremsen, Starrachsen anstatt Einzelradaufhängungen, keine der Jahreszeit entsprechenden Bereifungen, keine Sicherheitszellen aus Kohlefasern, die das Überleben bei Frontal-oder Seitencrashs gewährleisten, keine Gurte, kein Sprechfunk...) gespart wird.

Gruß
TW

Bei Norma soll aber - wie man munkelt - alles der Norm entsprechen.
Zuletzt geändert von TW am 04.02.2021, 09:41, insgesamt 2-mal geändert.
TW
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Re: Rennstreckenfahrer im Lockdown

Beitragvon MagdaCB500S » 04.02.2021, 16:45

Hallo Tobias,
ein sehr spannender und lustiger "Rennbericht, beim Lesen musste schon die ganze Zeit grinsen und "führ" entsprechend mit :D :ddaumen:

Gruß
Magda
MagdaCB500S
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